Gesetzesänderungen für schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien: Richtung stimmt – mehr Beschleunigung möglich
Um die (Import-)Abhängigkeit von Gas und Öl rasch zu überwinden, muss der Ausbau erneuerbarer Energien vorangetrieben werden. Doch bisher bremsen komplexe und langwierige Genehmigungsverfahren diesen Ausbau aus. Mit dem „Osterpaket“ hat die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen und Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, die diese Verfahren beschleunigen sollen. Der Bundestag hat sie weitgehend unverändert im Juli 2022 verabschiedet. In einer Stellungnahme bewertet der Lenkungskreis der Wissenschaftsplattform Klimaschutz (WPKS) diese Rechtsänderungen und die damit verbundenen Beschleunigungseffekte. Dabei identifiziert der Lenkungskreis auch weiteren Handlungsbedarf.
Berlin, 18. Oktober 2022 – „Gesetzgeber und Bundesregierung gehen den richtigen Weg: Mit den Rechtsänderungen kann der Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigt werden. Statt am Verfahrensrecht anzusetzen, hat der Gesetzgeber einen Gewichtungsvorrang für erneuerbare Energien festgelegt, Flächenziele vorgeschrieben und Standardisierungen im Artenschutzbereich eingeführt. Auf dieser Grundlage werden Abwägungen zwischen beispielsweise Klimaschutz gegenüber Artenschutz oder Denkmalschutz erleichtert. Das ist ein Paradigmenwechsel, der sich auszahlen könnte“, bewertet Prof. Dr. Sabine Schlacke, Co-Vorsitzende des Lenkungskreises der Wissenschaftsplattform Klimaschutz, die neuen Gesetze. Unter dem Stichwort „Osterpaket“ hat die Bundesregierung im Juli 2022 für erneuerbare Energieanlagen unter anderem das Erneuerbare-Energien-Gesetz und das Bundesnaturschutzgesetz geändert sowie das Windenergieflächenbedarfsgesetz verabschiedet. „Gut aus der Perspektive der Akzeptanzförderung ist, dass die Öffentlichkeits- und Verbändebeteiligungen bei keiner dieser Gesetzesänderungen beschränkt wurden“, betont Prof. Dr. Ortwin Renn, Mitglied des Lenkungskreises, „denn es ist nicht die Beteiligung der Öffentlichkeit, die Verfahren unnötig in die Länge zieht, sondern es sind vor allem langwierige behördliche Entscheidungsprozesse.“
Hohes Beschleunigungspotenzial durch neue Prioritätensetzung – auch Photovoltaik-Freiflächenanlagen und Verteilernetze sollten von Neuregelungen profitieren
Errichtung und Betrieb von erneuerbaren Energien-Anlagen werden in § 2 EEG als im „überragenden öffentlichen Interesse“ liegend bewertet. Im Rahmen von Abwägungsentscheidungen, wie etwa Ausnahmen von Denkmalschutz- oder Artenschutzanforderungen, soll dem Ausbau erneuerbarer Energien so lange ein relativer Vorrang eingeräumt werden, bis die Stromerzeugung in Deutschland nahezu klimaneutral ist. Der Lenkungskreis der WPKS identifiziert in dieser neuen Prioritätensetzung erhebliches Beschleunigungspotenzial. Die Prioritätensetzung verringert den Begründungsaufwand von Behörden in Planungs- und Zulassungsentscheidungen und verbessert die Rechtssicherheit für Vorhabenträger. „Der Gesetzgeber hat an den richtigen Stellschrauben gedreht, indem er das materielle, also inhaltliche Recht geändert hat, statt erneut das Verfahrensrecht zu überarbeiten“, so Schlacke. Die WPKS empfiehlt hier, dass auch die Photovoltaik-Freiflächenanlagen und die Verteilernetze von diesen Neuregelungen profitieren sollten.
Mehr Flächen an Land und Standards für den Artenschutz können Windkraftausbau beschleunigen
Großes Beschleunigungspotenzial liegt auch im neuen Windenergieflächenbedarfsgesetz. Dort legt der Bundesgesetzgeber Flächenausweisungsziele für Windenergie an Land für die Bundesländer fest, die in Summe insgesamt zwei Prozent der Bundesfläche ergeben. „Hier hängt der Beschleunigungseffekt von der Reaktionsgeschwindigkeit der Bundesländer ab“, betont der Co-Vorsitzender des Lenkungskreises, Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, „die in den kommenden Jahren rasch reagieren und die Flächenausweisung für Windenergieanlagen entsprechend erhöhen müssen. Nur dann stehen ausreichend Flächen für neue Windkraftanlagen zur Verfügung.“
Im Ansatz begrüßenswert sind die neuen bundeseinheitlichen Standards und Konkretisierungen für den Artenschutz im Rahmen der Zulassung von Windenergieanlagen an Land. Da artenschutzrechtliche Anforderungen häufig Gegenstand gerichtlicher Verfahren sind, können diese Standardisierungen, etwa in Form von Abständen, für mehr Rechtssicherheit sorgen. So entsteht Investitionssicherheit für Windenergieanlagen an Land. Allerdings ist fraglich, ob sich diese neuen Standards in der Praxis prüfungsvereinfachend und damit beschleunigend auswirken werden, da hier im Einzelfall Ausnahmen möglich sind. Ebenso sind – jedenfalls solange die Reform der europäischen Erneuerbaren-Energien-Richtlinie noch nicht abgeschlossen ist – Konflikte mit dem EU-Recht absehbar.
LNG-Beschleunigungsgesetz darf keine Blaupause für schnelle Genehmigungsverfahren sein
Ein aus Sicht des Lenkungskreises ungeeignetes Beispiel dafür, wie der Bau von Infrastrukturvorhaben beschleunigt werden kann, ist das am 1. Juni 2022 in Kraft getretene LNG-Beschleunigungsgesetz. Wie in der Vergangenheit üblich, soll eine schnellere Umsetzung von Vorhaben dadurch erreicht werden, indem auf einzelne Verfahrensschritte – hier unter bestimmten Voraussetzungen die Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung – verzichtet wird. Dies geht zusätzlich mit einem Abbau an Öffentlichkeitsbeteiligung einher. „Mit Blick auf die Krise der Energieversorgungssicherheit ist der Ansatz im LNG verständlich und sicherlich gerechtfertigt. Er sollte aber keinesfalls als Blaupause für die zukünftige Fortentwicklung des Planungsrechts der Energiewende dienen“, schätzt Schlacke ein. „Denn der Ausbau erneuerbarer Energien kann nur nachhaltig gelingen, wenn ökologische Standards eingehalten und die Menschen vor Ort mitgenommen werden.“
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